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Girolamo Saccheri: Logica Demonstrativa

Teil II, Kapitel 3 und 4

Drittes Kapitel
Was und wievielerlei
Art das Prinzip ist

[Real- und Nominaldefinition]
[Axiom, Hypothese, Postulat]

Viertes Kapitel
Über die Definition

    Erster Lehrsatz
    Zweiter Lehrsatz
    Dritter Lehrsatz
    Vierter Lehrsatz
    Fünfter Lehrsatz
    Sechster Lehrsatz
    Siebter Lehrsatz
    Achter Lehrsatz

 

Drittes Kapitel: Was und wievielerlei Art das Prinzip ist.

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Das Prinzip, das ergibt sich klar aus der Etymologie des Wortes, ist dasjenige, das vor sich nichts anderes hat. Es wird von Aristoteles definiert im Buch I der Zweiten Analytik, Kapitel acht1: ein Prinzip in irgendeiner speziellen Klasse ist das, das nicht durch etwas anderes bewiesen werden braucht. Oder das ist ein erstes Prinzip, das kein Mittel hat, von dem aus es bewiesen werden könnte.

Weil nun wahre wissensmäßige Erkenntnis die Konklusion eines Syllogismus ist, der aus sicheren und evidenten Prinzipien besteht;
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deshalb muß bei jeder solchen Erkenntnis bedacht werden: das Subjekt, über das etwas bewiesen wird, das Prädikat, das bewiesen wird und das Mittel oder der Grund, durch den bewiesen wird. Die wissensmäßige Konklusion sei zum Beispiel: Zwei Kontradiktionen können nicht zusammen wahr sein. Das Subjekt ist "Kontradiktorische Propositionen", das Prädikat "wahr", das Mittel oder der Grund ist das Axiom "Das gleiche kann nicht gleichzeitig sein und nicht sein."2 Und so muß vor irgendeiner wissensmäßigen Erkenntnis bekannt sein: was das Subjekt ist, über das etwas bewiesen werden soll, also hier, was kontradiktorische Propositionen sind; was das zu zeigende Prädikat ist, also hier, was es für eine Proposition heißt, wahr zu ein; und schließlich muß die Wahrheit des Mittels oder Grundes bekannt sein, also hier des Prinzips "Das selbe kann nicht zugleich sein und nicht sein.

Wir haben jetzt daher zwei erste Prinzipien, die Definition sowohl des Subjektes als auch des Prädikates sowie das Axiom, auch Autorität3 genannt.
Und weil tatsächlich manchmal bewiesen wird, daß ein Prädikat zu einem Subjekt gehört unter einer gegebenen Hypothese, also hier, daß die Propositionen A und O4 nicht zusammen wahr oder zusammen falsch sein können unter der Hypothese, daß sie kontradiktorisch sind; deshalb gibt es eine dritte Art von Prinzip, die Hypothese oder Supposition. Weil schließlich keine Wissenschaft, ihren ganzen Gegenstand beweisen kann, muß sie diesen Gegenstand zumindest teilweise postulieren. Deshalb gibt es eine vierte Art von Prinzip, nämlich das Postulat.

Nach Annahme dieser vier Arten von Prinzipien bleibt zu sehen,
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was jedes von ihnen ist und welche Unterschiede zwischen ihnen bestehen, wie zwingend ihre Notwendigkeit ist, und welche Eigenschaften für jedes von ihnen erforderlich sind, damit man sie Prinzip nennen kann und muß. Einige davon werden wir in diesem Kapitel beweisen, und die anderen in den folgenden Kapiteln.



1 Saccheris Angabe stimmt nicht. Vielleicht bezieht er sich auf An. Post. I,10, erster Satz: "Ich nenne aber Prinzipien in jeder Gattung diejenigen, von denen sich nicht beweisen läßt, daß sie gelten." (Deutsch von Eugen Rolfes, Aristoteles, Lehre vom Beweis oder Zweite Analytik, Hamburg 1976, S.20).
2 Bei Saccheri steht medium, worunter man normalerweise den Mittelbegriff eines Syllogismus versteht. Diese Bedeutung trifft aber im vorliegenden Fall nicht zu, denn das Axiom ist eine Aussage und kein Begriff.
3 Dignitas.
4 A entspricht /\x: Px, für O gilt: \/x: -Px.

Übersetzt und mit Anmerkungen versehen von Achim Wagenknecht
Die Logica Demonstrativa im Karlsruher virtuellen Katalog finden.
Die Seitenzahlen in eckigen Klammern beziehen sich auf die Ausgabe der Logica von 1697. Anmerkungen in eckigen Klammern und Fußnoten sind von mir. Für wertvolle Anregungen zur Übersetzung möchte ich mich bei Herrn Christoph Kann bedanken.
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Zuletzt aktualisiert am 09.02.2006